Kommentar zur Gemeindeversammlung vom 10. Dezember 2021

Was soll der stille Beobachter auf der betonstarken Empore der neuen Turnhalle seiner treuen, neugierigen, schmunzelnden, erstaunten, enttäuschten, sich langweilenden, verärgerten, empörten, gar erzürnten und ihm insgesamt unbekannten Leserschaft diesmal über die Gemeindeversammlung zum Budget 22 mitteilen, was er nicht bereits in einem der früheren Kommentare gesagt hätte? Seit 2013 sind es ein gutes halbes Dutzend:

  • Dass die Budgetversammlungen trotz ihrer hohen Bedeutung die Stimmberechtigten nicht in Scharen anlocken; es sind jeweils weit unter 100 anwesend.
  • Dass die Präsentation des Budgets entlang der rund 500 Budgetposten eher monoton verläuft, ohne Akzentsetzungen oder Übersicht schaffende Zusammenfassungen; „kein Grund zur Aufregung, alles im Griff“, lautet die sedierende Botschaft des Gemeinderats.
  • Dass es kaum Fragen und keine Diskussionen dazu gibt und das Budget jeweils nach einer halben bis knappen Dreiviertel-Monolog-Stunde ohne Gegenstimmen gutgeheissen wird; erfolgreich für Stefan-oGs1 und den Gemeinderat.Selbstverständlich kann dieser Ablauf unterschiedlich interpretiert werden. Zum Beispiel negativ, als einschläfernd gestaltetes Ritual einer komplexen Angelegenheit … „bringen wir’s hinter uns“. Oder positiv, als vertrauensvolle Zustimmung zur Behörde … „die machen‘s recht“. Oder auch als Ausdruck einer hier herrschenden politischen Kultur … „so geht’s in Vals eben zu und her“.

    Also, wenig Neues. Deshalb denke ich den Kommentar mit zwei aktuelleren valserischen Themen anzureichern, einmal mit der Dendrochronologie – ja, den Ausdruck kennen jene, die sich für denkmalgeschützte Ställe interessieren – und zweitens mit der Jägerei, wo mir die interessante Aussage des Valser Wildhüters aufgefallen ist, dass die letzten „100 Jahre jagdlich gesehen von starkem Wandel geprägt“ waren2. Wie kann ich diese beiden Themen in die Budgetdebatte schmuggeln? – Passt auf, ich wage es!

    Das war das Wichtigste an der Gemeindeversammlung vom 11. Dezember 2021:

    54 Stimmberechtigte sitzen im Saal. Covid-Schutzmassnahmen werden beachtet. Das Budget 2022 ist ausgeglichen, mit einem ganz kleinen, eher zufallsbedingten Aufwandüberschuss. Das Budgetieren ist keine genaue Wissenschaft. Es gibt teilweise beträchtliche Differenzen zwischen den tatsächlichen Ausgaben und Einnahmen – beides in der Rechnung festgehalten3 – und den beiden Budgets, jenes

    1 oGs = ohne Gegenstimme
    2 Moritz Schmid, Vorwort des Wildhüters, 100 Jahre Jägersektion Vals, S. 9
    3 Allerdings in jener für das vergangene Jahr, 2020, und nicht für das noch laufende 2021

 

für das laufende Jahr 2021 und dieses für das kommende Jahr 2022, das von den Versammelten genehmigt werden muss.

Es liegt auf der Hand, dass man sich aus den Angaben in der Budget-Broschüre schlüssige Information zusammen reimen will. Schlüsse aus dem Vergleich zwischen den drei Datengruppen – der Rechnung 2020, dem Budget 2021 und Budget 2022 – sind jedoch nur beschränkt möglich. Wie ist es beispielsweise zu erklären, dass die Rechnung 2020 für die Bildung 1,71 Millionen Ausgaben ausweist, das Budget 2021 jedoch um rund 30% zugelegt hat, auf 2,23 Millionen? Eine detaillierte Prüfung der einzelnen Posten kann dazu halbwegs eine Antwort liefern. Beispielsweise, dass grössere und im Charakter eher einmalige Anschaffungen vorgesehen sind (Mobiliar, Kopiergeräte, Informatik…). Dass Aus- und Weiterbildungen verstärkt werden sollen, ebenso die Ausgaben für Projekte/Schulreisen/Lager. Dass der Posten der Heizungs-, Strom- und Wasserkosten für 2021 um 100% höher und für 2022 nochmals um 20% höher veranschlagt ist. Aber auch, dass die planmässigen Abschreibungen der Sachanlagen prozentual enorm zugenommen haben (2020 Rechnung: 107‘000; 2022 Budget: 411‘000). Und so weiter und so fort.

Aber eben, das Budgetieren ist keine exakte Wissenschaft, wie beispielsweise (jetzt kommt’s) die Dendrochronologie. Diese Methode erlaubt es den Bauforscher*innen, durch die Messung der Jahrringbreiten bei den Holzbalken im denkmalgeschützten Lärchabodastall, dessen Bau auf 1781/82 festzulegen und zudem Balken zu identifizieren, die bereits aus dem 14. und 15. Jahrhundert stammen und beim Stallbau wieder verwendet wurden! Möglich ist es, weil das Bild der Jahrringe das Ergebnis klimatischer Bedingungen ist – nasse und trockene Jahre, heisse und schneereiche Jahreszeiten. Ich weiss, das ist jetzt etwas sehr kurz und unvollständig erklärt. Es sollte euch jedoch, liebe Lesende, zu einem informativen Spaziergang auf den Lärchaboda motivieren.

Die Abfolge von Jahresrechnungen und Budgets folgt keiner Dendrochronologie, das ist klar. Sondern sie geht von Erfahrungswerten aus, beruht auf Annahmen über Entwicklungen in den verschiedenen Budgetbereichen, auf Projektplanungen und politischen Vorstellungen einer gelungenen Budgetierung. Würde es geübten Historiker*innen gelingen, uns in einer umfassenden Budgetchronologie die grossen Bewegungen im Vorgang des Budgetierens aufzuzeigen? Ein Vorhaben so etwa, wie eine Erforschung der ‚Jahrringe‘ in den Budgets der letzten hundert Jahre? Beispielsweise, wie sich Aufwand und Ertrag für die Bildung, für die Gesundheit, den Verkehr, Umweltschutz und Raumordnung, Finanzen und Steuern im Verlauf der Jahre und Dekaden veränderten? Und wie dies mit den grossräumigen Veränderungen im kantonalen, nationalen und internationalen Umfeld verknüpft und erklärbar wäre?

Zweifellos würden die Historiker*innen in diesem Vorhaben zum Schluss kommen, dass die letzten 100 Jahre budgetmässig von einem starken Wandel geprägt waren. So wie es (jetzt kommt’s) der Valser Wildhüter über die Jagd festgestellt hat. In knappen Worten erfahren wir von ihm Unglaubliches aus der Jagdgeschichte. Zu Beginn des 20.Jahrhunderts war Steinwild in der Region praktisch ausgerottet und nicht mehr vorhanden, womit die Einsicht, dass man Tiere schützen müsse, an

Bedeutung gewann und ins eidgenössische Jagdgesetz von 1925 einfloss. Danach stieg der Wildtierbestand allmählich, meistens durch natürliche Einwanderung. In Vals wurde 1953 erstmals ein Hirsch geschossen! Dann gab es in der Jagdgemeinschaft Entscheidungen über Fairness in der Jagd zu fällen, etwa, ob die Jäger Zielfernrohre benützen (1989) oder sich über Mobiltelefone absprechen dürfen (2015). Die Schalenwildbestände wuchsen weiter und führten in der Folge zu massiven Schäden an landwirtschaftlichen Kulturen und Wald. Womit die Jagdplanung ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückte und den Gesetzgeber 1986 beschäftigte. Zweifellos würde der Blick auf die Valser Budgets der letzten 100 Jahre ebensolch erstaunliche Einsichten in Entwicklungen, Wendungen, Kehrtwendungen, Zu- und Abwendungen zu Tage fördern und uns vielleicht das Bild des Budgets von heute in einem neuem Licht erscheinen lassen.

Was ist, neben dem Budget 22, in dieser Gemeindeversammlung noch aufgefallen?

  • –  Die unbestrittene und brillante Ersatzwahl eines jüngeren Valsers (einziger Kandidat) in den Gemeinderat.
  • –  Die Ankündigung, unter „Verschiedenes“, einer baldigen Botschaft zur Schaffung der überfälligen Therme-Stiftung.
  • –  Die fachkompetente Beantwortung einer Frage zu den neuen Internet- Anschlüssen (Swisscom) durch den Gemeindepräsidenten.Das war’s. Um 22h45 ist die Versammlung beendet.
    Nochmals (und vielleicht zum letzten?): Die Therme gehört dem Dorf, der

    Wolkenkratzer nach Dubai! Basta!

    211218 – Jean-Pierre Wolf