Bindestrich-Valser

Valser seien wertkonservativ. Sie misstrauten den besserwisserischen Unterländern, die annähmen, sie seien hinterwäldlerische Bergler; sie hielten mit ihrer Meinung zurück und liessen sich nicht in die Karten blicken. – Das sagte mir kürzlich eine 70-Jährige vor dem Volg, die sich selber als Neu-Valserin, später augenzwinkernd auch als Ag-Valserin bezeichnete, das heisse eine Angeheiratete. Fälschlicherweise sei sie, besonders früher, als Comfort-Valserin beschimpft worden, was schon von der Definition her unrichtig sei und wogegen sie sich wehre. Es gebe da einige Heimat-Valser, die solches gerne verbreiten würden. Sie selber nehme im positiven Sinn am Dorfleben teil, gehöre aber keineswegs in die Kategorie der Jubel-Valser und habe auch mit den Rosa-Zukunft-Valsern nichts am Hut. Sie habe ein gewisses Verständnis für jene, die sich Valser-trotz-Allem bezeichnen würden, auch wenn sie deren Enttäuschung und erbitterten Widerstand nicht nachvollziehe. Ihr Mann habe seinerzeit in einem Export-orientierten Unternehmen in der Bodensee-Region Arbeit gefunden und als Kadermitglied bis zur Pensionierung gutes Geld verdient. Streng genommen gehöre er in die seit jeher grosse Gruppe der Exodus-Valser und –Valserinnen, die nicht mit den Exil-Valserinnen und –Valsern verwechselt werden dürfe. Erstere seien aus wirtschaftlichen Gründen weggezogen, letztere wären von Valsern-in-Residence davon gejagt worden, hätten etwas angestellt oder es einfach da oben nicht mehr ausgehalten. Aber, erklärte sie, sowohl unter den Exodus- wie auch den Exil-Valserinnen und –Valsern habe sie selber sehr viele bedauernswerte Heimweh-Valser angetroffen. Mit diesen habe es in der Ferne schöne Momente des Erinnerns, Erzählens und Sinnierens über Geschichten, Bräuche. Landschaften und Schicksale gegeben. Aber auch Empörung und Wut, zum Teil auch Scham, über die unausstehlichen Pfui-Valser und -Valserinnen, über die sie lieber nichts sagen wolle. Ihr Mann sei dann vor etlichen Jahren mit ihr ins Dorf zurück migriert. Damals hätte gerade die kleine Gruppe der Kerenzerberg-Valser, ein auserlesener Kreis den man getrost auch Elitär-Valser nennen dürfe, die Wut anderer provoziert. Diese Wütigen bezeichne sie, weil ein Gottesmann unter ihnen war, als Gotteszorn-Valser. Alles drohte aus dem Ruder zu laufen und bei einem Haar wäre es schief herausgekommen.

So redete diese inspirierte Frau, bis mir der Kopf drehte und ich ein Glas trockenen Weisswein brauchte, um mir Überblick über diese bunte Gesellschaft zu verschaffen. ( Glossar).

Jean-Pierre Wolf, Möchte-gern-Valser

 

*Glossar (in alphabetischer Reihenfolge)

Ag- Valserinnen/Valser angeheiratete Valserinnen/Valser; sie haben selber keine nachweisbaren Valser Wurzeln, jedoch eine Person geheiratet, bei der dieser Nachweis möglich ist Neu-Valserinnen
Comfort- Valserinnen leben als Valser/Valserinnen komfortabel im Unterland und kennen die harten Bedingungen und das schwere Leben im Tal nur noch von Ferne, vom Hörensagen, und meinen, alle hätten es so schön und leicht, wie sie
Elitär-Valserinnen/Valser wollen als Avantgarde, die strategische Ausrichtung des Dorfs, des Tals, ja der gesamten Alpenregion diskutieren, antizipieren und dezidieren Kerenzerberg-Valser
Exil-Valserinnen/Valser sind eigentlich Flüchtlinge; Davongejagte Valser-in-Residence; haben vielleicht etwas angestellt und sich abgesetzt; oder sind einfach auf und davon, angewidert von unfreundlichen Verhältnissen Heimat-Valser; Rosa-Zukunft-Valser
Exodus-Valserinnen/Valser sind im nationalen oder internationalen Arbeitsmarkt Beschäftigte, z. B. im Gastgewerbe, in Hochschulinstituten, in Banken und Konzernen; sie verbringen den allergrössten Teil ihres Arbeitslebens und verdienen ihr Geld ausserhalb von Vals
Gotteszorn-Valser solche (auch Geistliche), die mit Schaufel und Pickel und auch blossen Fäusten auf einen Betonblock einhämmern, der nächtens auf den Dorfplatz, just vor die Kirche, gekarrt worden ist
Heimat-Valser sitzen am Stammtisch, wo sie ohne Gefahr, dass man ihnen widersprechen würde, Vorurteile von sich geben können
Heimweh-Valserinnen/Valser Leben weit weg in fremden Diensten und erinnern sich wehmütig an das schöne Dorf, ihre Jugend, die Landschaft und erste Liebe Exil- und Exodus-Valserinnen und Valser
Jubel-Valserinnen/Valser applaudieren freudig, wenn der Gemeinderat heimlich wichtige Verträge abschliesst, deren Wortlaut nicht einmal die Hoteba-Kommission kennen darf
Kerenzerberg-Valser treffen sich mehrmals auf dem Kerenzerberg und besprechen die (internationale) Zukunft der Berggebiete und von Vals Elitär-Valser
Möchte-gern-Valser (er schafft es nicht zu einem echten Valser)
Neu-Valserinnen/Valser sind Zugezogene, meistens mit Stimm und Wahlrecht; sie verbreiten oft die Meinung, wer nicht mindestens 15 Jahre im Dorf gelebt habe, könne absolut nicht verstehen, was hier vorgehe
Pfui-Valserinnen (zu ihnen sagt man nichts)
Rosa-Zukunft- Valserinnen/Valser wollen eine Volksbegehren einreichen, das allen über 80-Jährigen die Teilnahme am öffentlichen Leben verbietet, besonders jenen, die nicht ihrer Meinung sind, da diese den Jungen die rosige Zukunft verbauten Exil-Valserinnen und –Valser
Valser-trotz-Allem sind Jene, die in einem zentralen Dorfgeschäft in die Minderheit versetzt worden sind und trotzdem nicht auswandern wollen
Valser-in-Residence sind immer im Dorf geblieben; einige leiten daraus den Anspruch ab, eine Art waschechtester Valser darzustellen

 

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