Alpines Museum

von Jean-Pierre Wolf

Traum Alp – eine Buchvernissage im Alpinen Museum am 20. September 2013

Stopft mit unserem Jahresbericht eure nassen Wanderschuhe, rät Beat Hächler, der Direktor des Alpinen Museums, den Lesern von «Berg versetzt!». Das Blatt berichtet stolz über das erste Museumsjahr im neuen Modus. Es gab einen Besucherrekord, das nationale und internationale Medienecho war glänzend und das Museumsrestaurant wurde für den «Swiss Gastro Award 2012» nominiert.

Und heute Abend: Buchvernissage! – Seit vier Woche liegt «Traum Alp – Älplerinnen im Porträt» auf dem ersten Platz der Besten-Bücher-Liste. Die Autorin, Daniela Schwegler, und die Fotografin, Vanessa Püntener, stellen es vor.

Die Vorstellung hat etwas Freundliches, Unkompliziertes. Der Grund, weshalb sich die Autorin für den Stoff entschieden hat, scheint plausibel. Allerdings, denke ich, auch wieder nicht so plausibel, als dass sie sich nicht ebenso für ein anderes Thema hätte interessieren können: etwa «Traum Nacht – Porträts von Fledermaus-Schützerinnen», wäre sie mit etwas Verve von einer ehrenamtlichen Helferin der Schutzorganisation dazu überredet worden.

Diesen kleinen gemeinen Gedanken versuche ich loszuwerden, während die Autorin das Porträt einer leidenschaftlichen Sennerin vorliest und die Fotografin dazu Bilder projiziert. Die Buchautorin lässt die Sennerin erzählen: Vieles habe sie in ihrem Leben schon versucht, einige Monat in einem Kloster in Katmandu meditiert. Dann sei sie auf die Alp gekommen und wusste: «Das ist es, was ich suchte. Hier bist du Teil eines Ganzen, hier macht das Leben Sinn.» Harte Arbeit, lange Tage. Erstaunt habe sie entdeckt, dass Kühe eigenständige Persönlichkeiten seien. Eine Kuh, zum Beispiel, tue alles, um sie zu ärgern und wenn ihr dann der Kragen platze, gebe sich das Tier sofort empathisch, rolle schuldbewusst die Augen und sie könne ihm nicht böse sein …

Nach der Lesung fragt ein Mann aus dem Publikum, ob es Sprachprobleme gegeben habe, schliesslich arbeite heute viel ausländisches Personal auf den Alpen. Antwort: Eigentlich kaum, im Wallis, bei einer französischsprachigen Sennerin habe ihr eine Kollegin bei den Fachausdrücken beigestanden. Sind die besuchten Alpen alle mit Fahrzeug erreichbar gewesen seien? – Ja, mit einer Ausnahme.

Eine Anwesende will wissen, weshalb die Autorin nur Frauen porträtiert habe. Antwort: Sie denke über ein Folgebuch mit Porträts von Sennen nach … Ja, jetzt ist bei mir der kleine gemeine Gedanke wieder da und ich denke, es sei ein Glück, dass nur die Sennerin mit den Kühen kommunizieren kann, nicht aber die Autorin: «Alptraum – Porträts von Kühen zwischen Edelweiss und Schlachtbeil».

Neue Fragen: Ob wir zu unserem Glück alle Sennen werden müssten bei diesem Titel? Ob nicht schönfärberisch vorgegangen worden sei, wo doch immer wieder Situationen entstünden, in denen Alppersonal der Verzweiflung nahe sei und ausrasten würde. Die Antworten bleiben lau.

Jetzt scheinen die Frager Lunte zu riechen: Wie das Entlohnungssystem funktioniere? Wem die Alp gehöre? Ob der Alpmeister auf der Alp wohne? Ob er der Besitzer der Weiden oder bloss der Gebäude sei? Wie die Zusammenarbeit und das Zusammenleben von Alpmeister, Sennen, Sennerinnen und Zu-Sennen aussehe? Wie jene mit den Bauern?… Es wird den Anwesenden klar: Die Autorin weiss darüber wenig oder nichts. Der ältere Herr mit Strubbelbart – er hatte die Fragen nach der Sprache und den Fahrtmöglichkeiten gestellt – greift helfend ein: Das alles zu erklären sei so kompliziert, dazu brauche es eine eigene Veranstaltung.

Einverstanden, doch eine letzte Frage sei erlaubt, meldet sich ein Hartnäckiger aus dem Saal: Weshalb hat das Buch diesen Erfolg? Hat das mit dem Zeitgeist zu tun?

Es muss der «Zeitgeist» sein, denke ich bei mir. Weniger ein herrschender als ein schlafender oder verschlafener. Anders kann ich es mir auch nicht erklären. Diese Veranstaltung ist kein wesentliches Ereignis für mich und m. E. auch keine Referenz für das Alpine Museum. Den reifen Berner Bergkäse, der am Apéro angeboten wird, kann ich wärmstens empfehlen. Dagegen enthalte ich mich, zum vorgestellten Buch eine Kaufempfehlung abzugeben.

 

130920 – Jean-Pierre Wolf

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Intensivstationen – eine Ausstellung im Alpinen Museum in Bern

Wenn man nicht zu Fuss durch die behäbigen und tagsüber belebten Lauben gehen will, steigt man unter dem gläsernen Baldachin, vor dem Berner Hauptbahnhof, ins Tram 7 oder 8 und lässt sich durch die Spitalgasse, Marktgasse, über den Casinoplatz und die mit Maschengittern gesicherte Kirchenfeldbrücke an den Helvetiaplatz fahren. Dort steigt man aus. Man sieht vor sich den massiven Brunnen des Weltpostvereins, wo eine dominierende Frauengestalt die Arme zu zwei Figurengruppen ausstreckt und die Völkerverbundenheit symbolisiert. Dahinter steht das als historische Schlossburg gestaltete Berner Historische Museum, linkerhand der symmetrische Bau der Kunsthalle. Rechts sieht man ein Gebäude im Stil des Neuen Bauens der 30er Jahre, das sich das Institut für Bildungsmedien und das Alpine Museum der Schweiz teilen.

Bis 24. März 2013 zeigt das Alpine Museum Bilder und Videos des Tiroler Künstlers Lois Hechenblaikner, die zu besichtigen, ich empfehle. Wieso?

Erstens gelingt es dem Künstler in einer übersichtlichen Ausstellung seine Analyse des alpinen Massentourismus auf einfache Art zusammenzufassen. Er sieht Aspekte, die wir übersehen und hilft uns dabei, die kritische Seite unserer Wahrnehmung zu wecken. Er dokumentiert, wie Naturlandschaften zu Freizeitlandschaft umgebaut werden: Kunstschneebänder im Grünen. Grossbaustellen für Kunstschnee-Speicherbauten. Einen Ski-Shredderanlage für den Sondermüll, den die Skihersteller produzieren. Parkplätze gross wie Flugpisten… Erschreckt hat mich das Video von Liftkreuzungen auf einem Gletscher. Es zeigt Betrieb und viele sich kreuzende Kabel. Von links unten nach rechts oben fahren Sessel hin und her, ebenfalls von rechts unten nach links oben. Die meisten sind unbesetzt. Und dann gibt es noch einen gewöhnlichen Bügellift, wo eine verloren wirkende Gruppe von Skifahrerinnen und –fahrern ansteht. Links davon ist in einem Glaskasten ein roter Porsche ausgestellt. Die Landschaft ist weit und grauweiss. Eigentlich ungastlich. Menschen haben hier normalerweise nichts zu suchen, denkt man. Die kitschigen Aprèsski-Bars – der Künstler zeigt auch die Schläuche ihrer volldigital gesteuerten Getränkeverteiler in Kellern und Küchen – sind doch kein ernster Ersatz für die alltägliche Gemütlichkeit der Vororte, Kleinstädte und Städte, aus denen man angereist ist.

Zweitens zeigt sich das Alpine Museum nach einem Umbau, vor drei Jahren, mit einem neuen Gesicht und Konzept. Mit thematischen Wechselausstellungen über aktuellen Fragen zum Alpenraum will es mehr Besucher aus der ganzen Schweiz anlocken. Wer sich für diese Fragen interessiert, tut gut daran, das Museum in sein Koordinatennetz aufzunehmen und künftig aufmerksam zu beobachten. http://www.alpinesmuseum.ch/de

“Intensivstationen” nennt Hechenblaikner seine Alpenansichten. Der Begriff ist mindestens zweideutig. Es werden Stationen gezeigt, wo besonders intensiv mit allerlei Angeboten und Klimbim um Skitouristen geworben wird. Dementsprechend heisst dies auch, dass es Stationen gibt, wo das weniger oder nicht oder anders der Fall ist (Beispiel Vals?). In den Intensivstationen der Spitäler, und das ist die zweite Bedeutung, liegen allerdings auch die schwer angeschlagenen Patienten, die besonders viel Betreuung, Überwachung und Pflege brauchen, um zu überleben.

Drittens empfehle ich den Besuch des Alpinen Museums, weil er selbstverständlich mit einem Spaziergang zum neuen Bärengraben, zum Klee-Museum oder auf die Zuschauertribüne des Nationalrats kombiniert werden kann.

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