Kommentar zur Valser Wahlversammlung vom 7. Mai 2021

«Wahltag ist Zahltag», heisst es landläufig. Wenn das stimmt, hat man dem bisher amtierenden Gemeinderat den Lohn nicht verweigert. Alle wieder antretenden Bisherigen wurden in ihren Funktionen ohne Wenn-und-Aber bestätigt. Allerdings, es ist landläufig auch mehrheitlich üblich, am Ende einer Legislaturperiode und am Anfang einer neuen einen kurzen Rückblick auf die letzten drei Jahre und einen Ausblick auf die kommenden Herausforderungen zu präsentieren. Nichts dergleichen in Vals! Niemand stört sich daran. Entsprechende Wortmeldungen jedenfalls fehlen. Und der stille Beobachter auf der betonschweren Empore, fragt sich, weshalb das so ist?

Gehört es einfach nicht zur valserischen Polit-Kultur à la «Das war immer schon so»? Oder passt es einfach nicht, weil es das langfädige Wahlverfahren zusätzlich in die Länge ziehen würde? Oder besteht kein Bedürfnis danach, weil es ja allen klar sein muss, was bisher geleistet wurde und was es weiter zu tun geben wird? Oder hält es der Gemeinderat nicht für notwendig? Zu aufwendig, zu umständlich, vielleicht gar peinlich? – Ganz wohl ist es mir bei diesen Vorstellungen nicht. Denn, verpasst die Behörde die Gelegenheit zur offenen Information über ihr Tun und Lassen, erhält ihre Arbeit leicht den Geschmack von Verwaltung, die zwar für ein formal ordentliches Abwickeln der Gemeindepolitik sorgt, sich jedoch weniger um ein bewusstes Gestalten derselben bemüht. Doch, der Reihe nach.

Es gibt an diesem Freitag zwei Neuerungen: Die Wahlversammlung beginnt bereits um 20 Uhr und sie findet erstmals in der neuen Mehrzweckhalle statt. Gelegenheit also, sich den Versammlungssaal anzusehen. Kurz gesagt: Es ist eine Turnhalle! Nur dass die Geräte und Bedienungseinrichtungen, die in der ‚alten‘ Turnhalle das Auge der Turnerinnen und Turner erfreuten, hier diskret hinter die hölzerne Wandverkleidung versteckt wurden. Der Basketballkorb an der Frontseite lässt sich hochziehen und gibt den Blick auf die Bühne frei, auf der die Mitglieder des Gemeinderats und der (neue) Gemeindeschreiber sitzen, hinter einem langen Tisch mit dem Rednerpult in der Mitte. Über ihnen leuchtet die Projektionsfläche, wo Informationen zu den laufenden Geschäften sich abwechseln. Der Boden (angenehm zu begehen, sagt mir eine Anwesende) ist mit den bekannten farbigen Linien für Ballspiele durchzogen. Es gibt viel massiven Beton – etwa an Empore und Decke. Und nur eine schmale Fensterlinie an der Rückwand, jetzt verdeckt durch einen kurzen, dunklen Vorhang. Das Ganze sieht wie eine geräumige, hohe Kaverne aus, in einem etwas schmucklosen, streng gegliederten innenarchitektonischen Design. Auch in schweren Zeiten – Lawinen, Bomben usw. – könnte man sich im Raum wohl in Sicherheit wiegen. Welchen Kommentar hätte die ‚alte‘ Turnhalle angesichts der neuen Konkurrentin? Ich denke, sie würde auf alle schnippischen Seitenhiebe verzichten; sie wäre entlastet und ohne Neid1. Und was sagt die Neue zum Betrieb? Sie bleibt vorerst stumm und ist besorgt, den Minutenzeiger der Wanduhr genau nach 60 Sekunden um eine Einheit vorwärts zu schieben. Das tut sie 143 Mal, dann, um 22.23 Uhr, ist die Veranstaltung zu Ende.

Der Saal bietet an diesem Abend – wegen Corona ist immer ein leerer Stuhl zwischen zwei Personen vorgesehen – 184 Sitzplätze. Anwesend sind 129 Stimmberechtigte, davon rund ein Drittel Frauen. Alle tragen Masken. Die Stimmenzählenden haben sich blaue Plastikhandschuhe übergezogen. Die Corona- Schutzmassnahmen werden befolgt. Die Anwesenden wählen, bestätigen oder ergänzen an der Versammlung die Ratsbehörde und die Kommissionen der Gemeinde. Insgesamt zeichnet sich ein unspektakulärer, jedoch langfädiger Vorgang ab. Niemand wird offenkundig bestritten. Mit Ausnahme des Gemeinderats scheint es ziemlich unwichtig, wer die verschiedenen Ämter besetzt, könnte man meinen. Eher wäre man froh um Vorschläge aus dem Saal. Nur, um ein Amt im Gemeinderat reisst sich zurzeit offensichtlich niemand. Für zwei zurückgetretene Rätinnen gibt es eine Kandidatin. Sie stellt sich kurz vor und wird gewählt. Der letzte Gemeinderatssitz kann nicht besetzt werden und bleibt vakant. In die Kommissionen – Schulrat, Bau, Vermarktung, Gemeindeverband Surselva – werden die Bisherigen und Neuen und ihre Stellvertretenden durch Handerheben ausnahmslos und mit hoher Zustimmung bestätigt. Bei der Besetzung der Geschäftsprüfungskommission und jener der Gemeindevertretung im Valser Fonds muss schriftlich abgestimmt werden, weil es je eine Kandidatur zu viel gibt.

Ja, die schriftlichen Abstimmungen brauchen jeweils sehr viel Zeit. Eine elektronische Einrichtung hätte zweifellos gut in den topmodernen Saal gepasst, träumt der stille Beobachter auf der Empore, und das reine Wahlprozedere wäre wohl nach einer knappen Stunde abgeschlossen gewesen. In der jetzigen Form besteht die Wahlversammlung im strengen Urteil des stillen Beobachters aus 99% rigoros befolgtem Ritual und vielleicht einem Prozent Inhalt. Aufgefallen ist ihm auch die Reaktion des Gemeindepräsidenten auf die Vakanz im Gemeinderat: Er scheint es gelassen zu nehmen, was nicht unsympathisch wirkte. Gefährlich wäre es allerdings, würden Entscheidungen ausserhalb des Gemeinderats gefällt und dieser hätte bloss noch eine formelle Bedeutung.

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1 Siehe mein Kommentar zur Gemeindeversammlung vom 11. Dezember 2020.

 

Zuletzt wird der Gemeindeschreiber verabschiedet. Über 40 Jahre habe er in dieser Funktion der Gemeinde gedient und als das Gedächtnis der Institution gewirkt, so der Gemeindepräsident. Die Verabschiedung ist kurz und schlicht. Zum Abschluss der Veranstaltung hat niemand der Anwesenden Fragen und es zeigt sich kein Bedürfnis nach weiteren Kommentaren.

Damit es nicht vergessen und verloren geht:
Die Therme gehört dem Dorf, der Wolkenkratzer nach Dubai! Basta!

Jean-Pierre Wolf, Vals, 7. Mai 2021