Kommentar zur Gemeindeversammlung vom 11. Dezember 2020

Nach einer längeren Pause bin ich, liebe Lesende, wieder als stiller Beobachter auf der Empore in der Turnhalle. Trotz Corona hat der Valser Gemeinderat beschlossen, die GV unter Beachtung der Abstandsregel und mit Maskenpflicht abzuhalten. Ein Geschäft auf der Traktandenliste, der Voranschlag 2021, scheint mir nicht unwichtig – hier geht es schliesslich ums Geldverteilen und den Steuerfuss. Vom zweiten, dem revidierten Feuerwehrgesetz, ist dagegen kein grosser Wurf zu erwarten. Die Gemeinde muss kantonale Vorgaben einhalten.

Aufgrund meiner bisherigen Erfahrungen erwarte ich keine funkelnde Veranstaltung. Doch diese GV ist deprimierend. Es sind bloss 24 Stimmberechtigte anwesend, darunter drei Frauen, die in grossen Abständen und verteilt zwischen rund 50 leeren Stühlen sitzen, Masken tragen und eher hilflos, so scheint’s, auf die kleingedruckten Seiten des Voranschlags mit den rund 500 Budgetposten äugen. Es ist akustisch nicht ganz einfach, den Gemeindepräsidenten zu verstehen. Auch er trägt eine Maske und führt kommentierend durch das Papier. Wie üblich, in nüchterner Tonlage, fast ohne Akzentsetzung, wie bei einem langweiligen Verwaltungsakt. Und signalisiert, alles ist in bester Ordnung, es gibt keine Probleme, keine Konflikte und keine Alternativen zum soliden und dem insgesamt an der letztjährigen Erfolgs- und Investitionsrechnung orientierten Voranschlag. Wie gespiegelt verhält sich die Gruppe der Stimmberechtigten, irgendwie unauffällig, fast bewegungslos, uninteressiert, vielleicht müde – «bringen wir es hinter uns.»

Diese Stimmung erfasst auch mich, ich döse vor mich hin. Irgendwo höre ich leises Gejammer und versuche genauer hinzuhören und herauszufinden, woher der Ton kommt. Dann sehe ich es, hinten, zwischen den aufgereihten Reckstangen bewegt sich etwas – wie ein Mund. Unmöglich! Doch, es ist – so unglaublich es klingt – zweifellos die Turnhalle selber, die jammert, klagt und seufzt. Ich schnappe Sprachfetzen auf: «… für Bewegung, Spiel und Sport, Springen und Schwingen, Tanzen und Singen hat man mich geschaffen … Kinder, Jugend … so schön erfreuen die roten, schwarzen, gelben, grünen und blauen Linien, Bogen, Halbkreise, Kreise und Rechtecke das Auge von Kennern und Kunstliebhaberinnen … und heute? Schon wieder … das Zeremoniell hier … in die Kirche, auf den Friedhof damit! …» – So zieht sich das Lamento dahin.

Aber jetzt, aufgepasst, es wird abgestimmt. Der Voranschlag mit der Erfolgs- und Investitionsrechnung wird ohne Wenn und Aber einstimmig (d. h. durch Handerheben), ohne Gegenstimmen und Enthaltungen angenommen. Der Steuerfuss bleibt wie bisher. Und ich habe die Erklärungen verpasst, falls es sie gab,

zu den Positionen mit den grossen Abweichungen gegenüber dem letzten Budget. Denn diese fallen jeweils als Erstes auf. Zum Beispiel, weshalb in den Schulliegenschaften viermal mehr Geld für Anschaffungen notwendig wird und die Kosten für Heizung/Strom/Wasser sich verdreifachen, wobei der Schulhausabwart weniger Lohn erhält. Hat es mit der neuen Mehrzweckhalle zu tun? Sollte diese nicht separat budgetiert werden?

Die Gemeinde will im Zeitraum 2021 bis 2025 einige grössere Projekte abschliessen und anpacken und mit sechseinhalb Millionen finanzieren. Darunter fallen als Schwergewichte die MZH, die Sanierung der ARA, der Neubau eines Wasserreservoirs.

Das Vorstellen bzw. Vorlesen des Feuerwehrsgesetzes beansprucht nochmals eine gute halbe Stunde Geduld der im Saal verstreuten Personen, die schliesslich wohl froh, dass es vorüber ist, das Gesetz ohne Fragen und einstimmig, ohne Enthaltungen und Gegenstimmen genehmigen. Ich konzentriere mich zwischendurch nochmals auf die Stimme von Frau Turnhalle: «… Seit Jahren läuft’s so (seufz!) … ich bin kein Requisitendepot … gepriesen der Tag, an dem ich diese Versammlungen abgeben kann … an die junge Neue da drüben, diese Mehrzwecklose … hoffentlich bald … soll die damit glücklich werden (bitteres Haha) …» – Die GV neigt sich ihrem Abschluss zu.

Unter ‘Verschiedenes’ fasst sich der Gemeindepräsident kurz und ist in zwei Minuten mit dem Traktandum fertig. Eine klärende Information, die möglicherweise, aber nicht notwendigerweise die Anwesenden geweckt oder interessiert hätte, etwa über die Überführung der Therme in eine Stiftung der Gemeinde und den mit der Nutzerin ausgehandelten Nutzungs- und Unterhaltsvertrag, wird nicht nachgefragt, und der Gemeindepräsident sieht selber dazu keine Veranlassung.

Um 22:03 Uhr ist diese GV zu Ende. Die Maskierten verlassen die Halle, um sich schweigsam auf teilweise glatten Strassen nach Hause zu begeben. Alle Wirtschaften sind geschlossen.

Nicht sicher bin ich mir, wieweit der Spruch einer Aktualisierung bedürfte:
Die Therme gehört dem Dorf (und nicht dem kantonalen Steueramt!1), der Wolkenkratzer nach Dubai! Basta!

1 50 Millionen beträgt Remo Stoffels Steuerschuld allein beim Kanton Graubünden für die Periode 2003-2008. Die diskrete Kantonsbehörde wusste dies seit 2010!

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Jean-Pierre Wolf, Vals, 12.12.20