Gespräch mit Christian Meuli und Reto Attenhofer, Nufenen 3.1.2014

Herausforderungen und Chancen in der Regionalentwicklung

 

140103_CMeuli&RAttenhofer fin-2Nufenen durchs Gamsloch. Foto: J. Wieland.

Christian Meuli-Staub amtet als Gemeindepräsident von Nufenen. Er war vor seiner Pensionierung Schulleiter der Berufsschule Gesundheit- und Krankenpflege Chur. Er ist gebürtiger Nufener und wuchs hier auf.

 

 

 

attenhoferReto Attenhofer ist Präsident der Kulturvereinigung Rheinwald. Er ist seit 30 Jahren Lehrer im Rheinwald.

Das Gespräch fand am 3. Januar 2014 in der Gemeindekanzlei von Nufenen statt.

Unsere Fragen beziehen sich auf Aspekte der Regionalentwicklung und Kooperation zwischen der Gemeinde Nufenen, ihren Rheinwaldner Nachbargemeinden und Vals.

Mehr Informationen zur Gemeinde Nufenen unter: www.nufenen.ch

So wird sich auch in den kommenden Jahren die Gemeinde weiterentwickeln und sich den zeitlichen Gegebenheiten anpassen.“ (Schlusssatz aus der Darstellung der Nufener Geschichte, siehe. Website)

_______________________________________________________________________________________

Wo sehen Sie, Herr Meuli, zu Beginn dieses Neuen Jahres die grossen Herausforderungen für die Entwicklung von Nufenen?

Christian Meuli (CM): Auf der Agenda von 2014 steht die neue Ausrichtung der Tourismusfinanzierung. Sie betrifft die ganze Tourismusregion Viamala. Zurzeit gilt eine Übergangsregelung.

Die Fusion mit den Gemeinden des Rheinwalds wird voraussichtlich in nächster Zeit aufgenommen. Dann geht es um die Infrastrukturen, Strassensanierungen und Pflästerung. Für 2015 stehen Entscheidungen zum Park Adula im Vordergrund, der Entscheid ist offen.

Insgesamt kann Nufenen zufrieden sein. Es ist eine kleine Gemeinde mit rund 150 Einwohnerinnen und Einwohnern, von denen etwa 20 aktiv mitwirken. Der Finanzausgleich hilft der Gemeinde, ihre Aufgaben zu meistern zusätzlich durften wir immer wieder mit der Unterstützung der Patenschaft für Berggemeinden zählen. Im Bereich Schulwesen und Feuerwehr ist Nufenen mit Splügen quasi zusammen gewachsen. Alle Schulstufen des Rheinwalds befinden sich heute in Splügen, einzig der Kindergarten für das ganze Tal ist in Nufenen. Weitere wichtige öffentliche Einrichtungen sind noch stärker zentralisiert. So befinden sich die Grundbuchführung und das regionale Pflegeheim in Andeer. Einige Einrichtungen sind sogar in Thusis beheimatet.

Nufenen steckt im Dilemma der meisten Bergregionen: Der Finanzausgleich und die Landwirtschaftssubventionen sind gut und recht, aber auch an Bedingungen und Erwartungen geknüpft. Auf der anderen Seite stehen die Wünsche nach Autonomie, Eigenständigkeit und ‚Freiem Walsertum‘, die durch die Transferzahlungen eingeschränkt werden.

Die Möglichkeiten der kleinen Gemeinde sind begrenzt. Wir veranstalteten auch schon ein Projekt „Zukunft Nufenen“ und zwar mit hoher Beteiligung der Mitbewohner und Mitbewohnerinnen und guter Kommunikation untereinander. Es haperte danach mit der Umsetzung, weil die personellen und finanziellen Ressourcen knapp sind.

Reto Attenhofer (RM): Die Region Rheinwald und die einzelnen Gemeinden erleben zyklische Veränderungen in den Schülerzahlen. Wir gehen davon aus, dass ab 2021 die Schülerzahlen in der Oberstufe so rückläufig sind, dass diese nach Zillis verlagert werden muss. Dagegen würde die Primarstufe in Splügen bleiben. Die Schülerinnen und Schüler sind sehr beweglich wegen der Postbusse, die im Stundentakt in beide Richtungen verkehren.

CM: Wir haben ein demographisches Problem, viele Jungen ziehen wegen Mangel an Arbeitsplätzen weg. Wir leiden nicht unter Massentourismus sondern bewegen uns am Rand und in Nischen der Tourismusregion Viamala, die bis nach Rothenbrunnen reicht.

Es gibt bei uns eine gesunde Landwirtschaft mit einigen initiativen Bauernfamilien. Sie haben selbstständig einen Käsekeller gebaut und vermarkten den Nufener Käse unter der Bezeichnung „Viamala Käse“ auch in Deutschland. Jedoch fehlen in der Gemeinde weitere wirtschaftliche Standbeine.

Nufenen liegt an einer wichtigen Nord-Süd- Achse. Wie bringt man die Durchreisenden zu uns ins Dorf? Dieses Potenzial ist bisher schlecht genutzt. Das Restaurant am Dorfeingang steht für 1,7 Millionen Franken zum Verkauf.

Die Gemeinde realisierte in Eigenregie den Bau eines kleinen Kraftwerkes, welches jährlich etwas mehr als der Eigenbedarf der Gemeinde abdeckt. Ein weiteres Projekt, das sich schliesslich als eine Schuhnummer zu gross für Nufenen erwiesen hat, war die Elektrizitätsgewinnung auf der anderen Talseite. Dieses wird nun durch das EWZ weiter verfolgt. Schliesslich bleibt der Region der Panzerwaffenplatz im Hinterrhein. Das sind noch einige Arbeitsplätze und bedeutet Soldaten in den Gastrobetrieben.

RA: Die Gemeindefusion könnte auf längere Sicht eine Chance sein. Durch das Zusammenfinden ergibt sich mehr Potenzial. Allerdings sind auch schon negative Erfahrungen in der interkommunalen Zusammenarbeit gemacht worden, mit taktischen Ränkespielen, in denen sich die Beteiligten bedeckt hielten und auf Initiativen der anderen warteten. Die Fusion ist eine Vertrauenssache. Das Vertrauen muss aufgebaut werden. Dazu braucht es fünf bis zehn Jahre.

 

Wie sieht es, Herr Attenhofer, im Kulturbereich aus?

RA: Hier sind wir eigentlich über die Kulturvereinigung Rheinwald und das Heimat-museum Rheinwald innerhalb der Talschaft schon lange fusioniert. Die Gründung der Kulturvereinigung war eine Folge der 700-Jahr-Feier im Jahr 19861. Es gab damals 13 sehr gut besuchte Veranstaltungen mit Referenten aus den benachbarten Walserregionen. Fünf Lehrkräfte haben zwei Jahre zuvor, 1984, das Freilichtspiel „Walserschiff“ von Silja Walter (Regie Gian Gianotti) ins Leben gerufen. Auch Leute aus Vals waren sehr daran interessiert und manche kamen sogar über den Valserberg gelaufen an unser Theater.

Danach gab es eine angenehme, lebendige Zeit für unsere Kulturleben im Tal dank einem Basler Sponsor, der praktisch bis zu seinem Tod jährliche Zuschüsse in unsere Kulturkasse überwies – zum Start waren dies 20‘000 Fr., dann über eine längere Periode 10‘000 Fr. und zuletzt noch 5000 Fr. pro Jahr. Seit etwa 2007 fehlt diese Unterstützung. Es gab immer weniger initiative Leute im Tale, welche die Kulturvereinigung und den Museumsverein aktiv und tatkräftig unterstützten und so liess das Interesse an kulturellen Anlässen nach. Es fehlt uns heute der Nachwuchs, der diese Institutionen in Schwung halten kann. Zu grosse Erwartungen lasten auf wenigen Personen.

Betrachtet man jedoch die Liste der Veranstaltungen unserer neuen Feriendestination Viamala – Ferien, die von Rotenbrunnen bis Hinterrhein reicht, ist man erstaunt. Diese ist ellenlang und fast jeden Tag ist irgendwo etwas los. Um in der Region die kulturellen Anlässe zu koordinieren und neue Ideen und Projekte zu realisieren, wird , wenn alles gut geht, ab Sommer 2014 eine neue Kulturstelle mit 50 Stellenprozenten geschaffen. Die Suche nach einer geeigneten Person kann beginnen. Die Erwartungen an sie sind von verschiedenen Seiten da!

Die Vermarktung der Via Spluga und dem Walserweg in Hinterrhein läuft gut. So kann den Sommergästen in unserem Tal einiges geboten werden.

Im Rheinwald gibt es eine sehr aktive Trachtengruppe, welche regelmässig Anlässe besucht und auch jedes Jahr mit Erfolg eine Theaterproduktion einstudiert. Auch die Kindertanzgruppe wird rege besucht und bietet manchem Kind zu den verschiedenen Sportvereinen eine Alternative.

Wer Freude am Gesang zeigt, besucht den Gemischtenchor Rheinwald. Auch er bereichert mit seinen regelmässigen Auftritten über Jahrzehnte das kulturelle Geschehen im Tal.

Die Jungmannschaft Splügen Rheinwald pflegt jedes Jahr am Aschermittwoch den Volksbrauch des „Pschuuris“, der bei der Bevölkerung immer wieder auf reges Interesse stösst.

Die mangelnde Koordination unter den Rheinwalder Gemeinden hat viel damit zu tun, dass es allen noch gut geht und der Leidensdruck gering ist.

 

Wie beurteilen Sie die Verbindungen mit Vals?

CM: Zu Nufenen sind die Verbindungen von Vals aus heute fast inexistent. Es gibt einige wenige Familienbeziehungen. Sie sind stärker zwischen Vals und der Gemeinde Hinterrhein. Durch die Verkehrsachsen ist man weniger aufeinander angewiesen. Und es gibt insgesamt weniger Leute.

 

Was ist Lebensqualität in Nufenen?

CM: Das hat damit zu tun, dass unsere Wurzeln hier sind. Wir beziehen unsere Identität daraus. Dann gibt es durchaus für Familien positive Aspekte. Schulen für die Kinder; die Anzahl der Kinder mit Migrationshintergrund ist gering, es gibt kaum Drogenprobleme. Selbstverständlich ist im kleinen Raum die soziale Kontrolle höher, was vielleicht einige als unangenehm empfinden, die Nachbarschaftshilfe aber auch fördert. Die medizinische Versorgung ist gewährleistet, aber es gäbe Verbesserungsmöglichkeiten. Einkaufsmöglichkeiten bestehen. Mit den guten Strassenverkehrsverbindungen sind wir mobil.

 

Wie sieht es für die Frauen aus?

RA: Ausserhalb der Landwirtschaft sind die Arbeitsplätze für Frauen beschränkt. Es gibt wenig Vielfalt.

CM: Einige Frauen arbeiten im Verkauf, zum Beispiel im Dorfladen, der Käserei oder vermarkten Eigenprodukte, andere sind Lehrerinnen oder in der Gesundheitsvorsorge tätig. Es gibt vereinzelt Strassenpolizisten, die hier solange wohnen, wie sie im Einsatz sind. Es sind meistens Junggesellen, die sich nicht permanent hier niederlassen. Früher waren auch Zöllner dabei, heute kaum mehr. Letztlich stellt sich in Bezug auf die Frage zur Lebensqualität die Sinnfrage: Wo finden wir Sinn? Wie stellen wir Sinn her?

Herr Meuli und Herr Attenhofer, wir danken Ihnen für das Gespräch.

 

Ursula Berni, Jean-Pierre Wolf

 

Leave a Reply