Kommentar zur Gemeindeversammlung vom 28. Februar 2020

Nun, diesmal gibt es für den stillen Beobachter auf der Empore punkto Teilnahme am Anlass weniger zu mäkeln: Es sind 133 Stimmberechtigte in der Valser Turnhalle anwesend, davon rund ein Drittel Frauen. Zweifellos mobilisiert hat die Ersatzwahl in den Gemeinderat, die nach einem Rücktritt notwendig geworden war.

Zwei Personen mit kontrastierenden sozialen Profilen haben sich für das Amt zur Verfügung gestellt. Der Bauer, quasi verwachsen mit Gras und Vieh im Bergdorf, sehr interessiert an der Zukunft des Tourismus. Die Kauffrau, mit einem Valser verheiratet, hat viele Jahre in Bern gelebt, ist jedoch stets mit Vals verbunden geblieben und wohnt  mit ihrem Mann seit seiner Pensionierung auch hier. Das Auszählen der 133 Wahlzettel beansprucht Zeit, doch dann steht fest, der junge Landwirt ist gewählt.

Damit ist der emotionale Teil der Gemeindeversammlung vorbei. Es darf in die schläfrige Routine der Zuschauerdemokratie gewechselt werden, in deren Rahmen zu Geschäften keine Fragen gestellt, diese vielmehr einstimmig und ohne Gegenstimmen angenommen werden.

Im nächsten Traktandum geht es um den Steinbruch «Schmitteli», der etwas eng zwischen zwei Galerien der Kantonsstrasse Ilanz – Vals eingeklemmt liegt und nur schlecht genutzt werden kann. Die Truffer AG will die Nutzung verbessern. Es braucht dazu offenbar eine Verdoppelung des Steinbruchgeländes sowie die Rodung eines Waldstücks. Dazu muss der bestehende Ortsplan angepasst werden. Dem Kantonalen Tiefbauamt stellen sich mehrere Fragen. Sie betreffen den Umfang des Abbaus, die Ein-/Ausfahrt des Werkverkehrs in die Kantonsstrasse. Zudem geht es um Waldrodung/Ersatzaufforstung und den Gewässerschutz. Der Gemeinderat unterstützt die Ausweitung der Abbauzone und den Einsatz neuer Einrichtungen: Privatinvestitionen würden begrüsst, Arbeitsplätze geschaffen, Steuern bezahlt. Dazu wäre die Präsentation etwas genauerer Zahlen von Interesse gewesen. Und – ich sage es wieder[1] – klimarelevante Überlegungen werden nicht angestellt. Wie wenn die Reduktion des CO2-Ausstosses Vals nichts anginge und keine Vorgabe für die Gemeinde sein müsste. Die Anwesenden haben zum Geschäft keine Fragen und es wird einstimmig zur Urnenabstimmung freigegeben.

Die anwesenden Stimmbürgerinnen und Stimmbürger winken auch die beiden nächsten Geschäfte – Lawinenverbauungen, Erschliessung «Riefawald» – ohne Fragen und Gegenstimmen durch.

Doch zum Abschluss wird unter «Verschiedenes» auf überzeugende Art eine erfreuliche Initiative präsentiert. Ein neuer Verein verfolgt ein «Generationenprojekt», dessen Kernstück eine Kita ist. Denn «Um ein Kind aufzuziehen braucht es ein ganzes Dorf» (und nicht nur die Mutter). Dem kann ich nur zustimmen und der Griff auf das afrikanische Sprichwort freut mich. Der Verein hat bisher ziemlich alles richtig gemacht. Es geht um ein «familienfreundliches Vals», um eine professionell geführte Einrichtung, die Eltern etwa bei Berufstätigkeit zu entlasten vermag und Kinder gut betreut. Die Kita soll zudem einen Mittagstisch für Schülerinnen und Schüler und einen Mittagstisch für ältere Personen anbieten. Ein «Luterluogi»-Experiment[2] mit offenem Ausgang, das Mitte August startet. Das Projekt macht den Versuch, auf den Wandel in den Mentalitäten und in den Bedürfnissen der Dorfbewohnerinnen und -bewohner fortschrittlich, professionell und attraktiv zu antworten.

Nachdem der Gemeindepräsident zwei Fragen einer Bürgerin zum Teil beantwortet und noch kurz zum Corona-Virus gesprochen hat, geht die GV nach einer Stunde und zehn Minuten zu Ende. Keine Information gab’s diesmal zum Thema «Überführung der Therme in eine von der Gemeinde kontrollierte Stiftung». Am 13. Oktober 2018 (!) hatte der Gemeindepräsident noch frohgemut informiert, dass nach einer längeren Zeitspanne des Widerstands von Seiten der 7328 nun wieder Bewegung in die Verhandlungen komme. Diese Bewegung ist offensichtlich langsamer als der Klimawandel. Deshalb gilt immer noch

die Therme gehört dem Dorf,
der Wolkenkratzer nach Dubai. Basta!

Vals, 02.03.2020 – Jean-Pierre Wolf

 

[1] Siehe meinen Kommentar zur GV vom 13.10.2018: «Soll sich auch Vals mit der Klimafrage beschäftigen? Bisher tat man es nicht. – Selbstverständlich, meine ich. Denn die Klimafrage trifft ins Herz der Tourismusentwicklung sowie der Alpenentwicklung insgesamt. Umwelt- und klimaschädigendes Verhalten ist bisher in Vals kein Thema gewesen, weder in Bezug auf den Freizeitsport (Brettsport …), noch jenem zur Landwirtschaft (Viehbestand, Überdüngung, Gewässerbelastung), zum Transport von Personen, Mineralwasser oder Steinplatten. Sollte sich ‘das Bergdorf’ ganz unerwarteterweise zum umweltbewussten Klimabergdorf wandeln, das bei all seinen Projekten darauf achten würde, den CO2-Ausstoss signifikant zu reduzieren – die nationale und internationale Beachtung wäre ihm gewiss.»

[2] Ein Luterluogi» ist meistens ein Kind, das mit lauterem Blick (d. h. vorurteilslos) in die Welt schaut. (nach Vieli Ruedi, Valserdeutsch, S. 112)