Themen alpiner Gemeindeentwicklung– Eine Bestandesaufnahme bei den Valser Nachbargemeinden

Themen alpiner Gemeindeentwicklung – eine Bestandesaufnahme bei den Valser Nachbargemeinden

Im Zeitraum von Juli 2013 bis Oktober 2014 führte Forum Valsin den vier Nachbargemeinden von Vals – Blenio, Lumnezia, Nufenen, Safiental – Gespräche zur deren Situation und Entwicklungsperspektiven durch. Es wurden die Gemeindepräsidenten befragt, die in drei Gemeinden von Kulturschaffenden begleitet waren.

Die gemeinsamen, zentralen Themen und die Aussagen dazu sind hier zusammenfassend dargestellt.

Bevölkerungsentwicklung. Die schwierige demographische Entwicklung wird in den Gemeinden Lumnezia, Nufenen und Safiental als langfristige Bedrohung wahrgenommen. Die Statistik zeigt überall sinkende Geburten und einen Rückgang der Schülerzahlen an. Das wird als vitale Schwächung empfunden mit negativen Konsequenzen. Die sichtbarste davon ist, dass die SchülerInnen, besonders der oberen Schuljahrgänge, längere Schulwege zu einer zentralisierten Schule in Kauf nehmen müssen. Die Gemeinden hoffen, es möge diese junge Frau, jener junge Mann sowie Paare, von denen man Kinder erwarten könnte, doch in der Gemeinde sesshaft werden. Die Hoffnung ruht nicht auf einem konstanten Fluss von Zuwandernden, sondern auf Einzelnen, die den Wegzug der einheimischen Jugend mindestens etwas auffangen könnten. – Kein Problem dieser Art scheint gegenwärtig die Gemeinde Blenio zu verspüren, die in ihrer Geschichte über lange Zeitperioden von massiver Abwanderung geprägt war. Der wichtigste Faktor für das heutige Bild könnte in der günstigen Verkehrserschliessung liegen, in der nahen Nord-Süd-Autobahn und der Nähe zum NEAT-Südportal sowie der Lage an einer, wenn auch in ihrer Bedeutung eher zweitrangigen, Passstrasse.

Arbeitsplätze. In allen Gemeinden wird ein stabiles Angebot an Arbeitsplätzen als Voraussetzung für eine demographisch stabile Situation betrachtet. Alle Gemeinden weisen stolz auf Errungenschaften hin, die Arbeitsplätze bedeuten, und bedauern es, wenn solche verloren gehen. Eine gänzliche Bremsung des Zweitwohnungsbaus wird aus dieser Perspektive als negativ für den wichtigen Bausektor empfunden. Im Bleniotal hat sich in kurzer Zeit eine starke Opposition gegen die Schliessung des Spitals in Acquarossa gebildet, wegen des Verlusts an Gesundheitsinfrastruktur und besonders auch an Arbeitsplätzen. Die Möglichkeit der Entwicklung hin zu einem ´Rentnerparadies´ wird einmal erwähnt (Lumnezia). Meistens ruhen die Hoffnungen jedoch auf soliden Investitionen im Tourismus mit entsprechenden Freizeitangeboten, im Energiesektor (Wasserkraft, Windkraft Lumnezia), in Dienstleistungsnischen (Forschungsinstitute) oder im Weiterbestehen des Panzerwaffenplatzes (Nufenen).

Innovationen. Stolz blicken die Gemeinden auf besondere Initiativen und Innovationen. In Tenna, Gemeinde Safiental, ist es der Skilift, der weltweit als erster mit Sonnenenergie betrieben wird. In Nufenen ist es die Initiative junger Bauernfamilien, die ein lokales Käselabel geschaffen haben und jetzt Käse exportieren. In Blenio funktioniert ein kriminaltechnisches Labor mit hochqualifizierten Arbeitsplätzen, das schweizweit Leistungen erbringt.

Tourismus. Der Tourismus ist der Wirtschaftssektor, dessen Entwicklung fast gleichgesetzt wird mit der Entwicklung der Gemeinden. Tourismus ist eng verknüpft mit Bauen. Die Gemeinden stehen Hotelprojekten wohlwollend gegenüber und investieren in Sportinfrastrukturen (z. B. Centro für Wintersport am Lukmanier) sowie Kulturpfade (Blenio) und anderes mehr. Die überkommunale Tourismuskooperation bildet eine Entwicklungsmöglichkeit, wobei sich die Frage nach ihrer Finanzierung stellen kann (Nufenen). Die Bedeutung der Landwirtschaft in Bezug auf Arbeitsplätze schwindet dagegen überall.

Gemeindefusion. Blenio, Lumnezia und Safiental wurden in den letzten fünf bis zehn Jahren aus mehreren Kleingemeinden zu grossflächigen Berggemeinden fusioniert. In Nufenen steht dieser Prozess noch an (Fusion mit Nachbargemeinden wie Hinterrhein, Splügen/Medel). Die Gemeindefusion wird als Herausforderung in Bezug auf die Bewahrung lokaler Traditionen und die Bildung einer regionalen Identität verstanden. Weniger kompliziert erscheint die Situation in Blenio, wo sich eher eine regionale Identität spüren lässt, die das ganze Tal mit den drei neuen Fusionsgemeinden umfasst.

Gemeindepartnerschaften. Die freiwilligen Solidaritätsbeiträge der Unterländergemeinden haben eine Bedeutung für Lumnezia, Nufenen und Safiental, wo konkrete Projekte damit verwirklicht werden können (für Blenio fehlen Angaben). Aufmerksam wird verfolgt, wie sich die Wahrnehmung der eigenen Gemeinde bei den Partnern im Unterland verändert. Wird man als zu wohlhabend angesehen? Wird die Solidarität zu vermeintlich bedürftigeren Gemeinden umgelenkt?

Parc Adula. Die Haltung der vier Gemeinden zum Parkprojekt ist uneinheitlich. Am meisten positive Entwicklungsimpulse erwartet Blenio. Nufenen und Safiental stehen abwartend da. Lumnezia ist mit einem Windparkprojekt konfrontiert, das nur in Kombination mit einem wissenschaftlichen Begleitprojekt über ein in der Gemeinde aufgebautes Kompetenzzentrum attraktiv erscheint.

Kulturleben. Kulturelle Betätigungen werden überall als wichtig dargestellt, deren Stärkung als positiv, der Rückgang oder die Schwächung des Kulturlebens als negativ gewertet. Die Pflege des Vereinslebens, von historischen Gedenktagen (´Milice´ in Blenio; 700-Jahr Feier in Nufenen) oder kulturellen Bestandesaufnahmen (Vox Blenii), genauso Sport und kirchliche Aktivitäten (Friedhofpflege) sowie gemeinsame Reisen, Dorfmuseen, Programme in einem lokalen oder regionalen Kinosaal bilden den Kern des lokalen Kulturlebens.

Infrastrukturen/Verkehrswege. Für die Entwicklung von Blenio ist die Nähe zu grossen Verkehrsachsen (NEAT, Autobahn) positiv im Sinne des Anschlusses an die nahen urbanen Entwicklungsräume (Bellinzona, Lugano, Locarno). Anders und weniger günstig präsentiert sich die Lage für Nufenen, an der viel befahrenen Autobahn zum San Bernadino-Tunnel. Sie ermöglicht zwar auch eine grössere Mobilität für die DorfbewohnerInnen, erhöht jedoch die Attraktivität der Gemeinde als potenzielle Wohnlage nicht. Die Sorgen von Safiental und Lumnezia liegen im kontinuierlichen Ausbau und Unterhalt der bestehenden Strassen ins Tal hinein und zu den verschiedenen Dörfern der Gemeinden.

Lebensqualität für die Frauen. Die gute Verbindung zu Dienstleistungszentren (Schulen, Gesundheit, Einkauf) wird von den Frauen geschätzt (Lumnezia, Blenio). Der Internet-Zugang auch im hintersten Weiler ist gegenüber früheren Zeiten ein Vorteil und wird zum Teil auch beruflich genutzt. Die Integration von zugezogenen Frauen geschieht in den kleinbäuerlichen Betrieben fast automatisch. Zudem übernimmt der Landfrauenverbund im Safiental eine wichtige Rolle für die Integration und den Zusammenhalt von Frauen. Die Integration im gesellschaftlich-politischen Rahmen ist schwieriger. Tagesstrukturen für die Kinderbetreuung müssten geschaffen oder verbessert und starre Rollenbilder aufgeweicht werden (Safiental).

Nachbarschaft zu Vals. Eine Zusammenarbeit mit Lumnezia ist im Rahmen regionaler Zusammenarbeitsgefässe (Regiun Surselva; Regionalparlament bis Ende 2014) institutionalisiert. Sie könnte im Schul- und Kulturbereich ausgebaut werden. Die übrigen Nachbargemeinden erinnern sich an historische Verbindungen. Konkrete gemeinsame Projekte gibt es jedoch keine. Insgesamt wird Vals als eine wirtschaftlich privilegierte und erfolgreiche Gemeinde wahrgenommen. Zum internen Konflikt mögen sich die Nachbarn verständlicherweise nicht äussern. In Lumnezia wird bedauert, dass dieser Konflikt nicht allein intern behandelt wird.

 

Ursula Berni, Jean-Pierre Wolf