Gespräch mit Elisabeth Bardill und Thomas Buchli, Safiental, 11. April 2014

safien

Herausforderungen und Chancen in der Regionalentwicklung

Elisabeth Bardill ist Journalistin, Schriftstellerin und Trägerin des Dunna-Preises 2013, sie wohnt in Tenna. Thomas Buchli ist Gemeindepräsident der Gemeinde Safiental und Landwirt. Die Buchlis sind seit dem 15. Jahrhundert in Tenna ansässig.

Die Gemeinde Safiental ist das Ergebnis der am 1.1.2013 vollzogenen Fusion der zuvor vier Gemeinden Safien, Tenna, Valendas und Versam. Das gesamte Gemeindegebiet zählt heute rund 950 Einwohnerinnen und Einwohner. Mehr Informationen zur Gemeinde Safiental finden sich unter: www.safiental.ch

Das Gespräch fand in der Wohnstube von Frau Bardill in Tenna statt.

Unsere Fragen bezogen sich auf Aspekte der neuen Gemeinde, den Umgang mit der Tradition und der Kultur im Allgemeinen sowie dem Verhältnis zur Nachbargemeinde Vals.

Bereits 1882 hat man erkannt, dass grosse Projekt nur gemeinsam möglich sind. Dies ermöglichte erst den Bau der Safier Talstrasse um 1882/85 mit der Öffnung des wilden Aclobatobels für den Fahrverkehr.“ (Aus ‘Blick in die Vergangenheit’ in www. safiental.ch)

 

Die Gemeinde Safiental gibt es seit gut einem Jahr, Herr Buchli. Das neue Wappen der Gemeinde ist jenes des alten Kreises. Was sind die Erfahrungen mit dem fusionierten Gebilde?

Thomas Buchli (im Folgenden TB): Wenn wir mit der Innensicht beginnen, sehen wir die Reorganisationsaufgaben, die im Schlussbericht der vier Gemeinden zur Fusion festgehalten sind. Es geht insbesondere um die Reorganisation der Gemeindebetriebe. Wir gehen davon aus, dass das interne Zusammenwachsen in der neuen Gemeinde vier bis fünf Jahre dauern wird.

Aus höherer Flughöhe gesehen, geht es auch um Fragen der Identität. Wie werden wir Safientaler, wo viele sich noch als Safier, Tennerin oder Versamer bezeichnen. Ich sehe es als meine Aufgabe, den ‚Safientaler’ zu verkörpern und den Prozess des Zusammenfindens zu führen. Ich muss mich aus dem ‘Tenna-Modus’ ausklinken und Safientaler sein und die Gesamtentwicklung im Auge haben, das ist meine Aufgabe als Gemeindepräsident. Ich behalte die Sachthemen, aber auch die emotionale Seite im Blick und löse mich aus dem engen Umfeld. Es ist hie und da aber auch ein ‚Chrampf‘, Safientaler zu sein.

Elisabeth Bardill (im Folgenden EB): Den Prozess beobachte ich zum Beispiel im Landfrauenverband, der sich heute oft mit eher wenig herausfordernden Aufgaben wie Catering oder Reiseveranstaltungen beschäftigt. Aber, sollen wir immer noch so reisen wie vorher, jede Gruppe aus den ehemaligen Gemeinden für sich oder gemeinsam? Es klingt einfach, braucht aber einen Denkprozess bei den Beteiligten, um sich eine gemeinsame Reise als Bereicherung vorstellen zu können.

TB: Alle sind eigentlich aus demselben Kulturkreis. Aber, was macht den Tenner aus? Als Walser gehört er zu einem skeptischen Volk. Er meint, es sei für seinen Schlag typisch, dass untereinander harte kämpferische Auseinandersetzungen stattfänden, dass man aber gegen aussen geeint auftreten müsse. Nur: Das sagt man in den anderen Gemeinden genau gleich und meint, es gehöre zum spezifischen Charakter des Ortes. Das Zusammenwachsen ist ein natürlicher Prozess, dem man Zeit lassen soll.

 

Was sind denn die Vorteile des Zusammenschlusses?

TB: Neben dem rein Finanziellen gibt es Gesellschaftliches. Die Abwanderung ist bedrohlich. Die Basis des Tales, die Landwirtschaft, wird tendenziell schwächer, Betriebe verschwinden. Da darf man nicht resignieren. Neben finanziellen Erleichterungen soll der Zusammenschluss deshalb auch Entwicklungsperspektiven eröffnen. Dabei werden wir von verschiedenen Patengemeinden nach wie vor unterstützt, wie beim Schulhausbau in Tenna.

EB: Leben wir im Wohlstand? Man sieht einige schöne Bauten und eine moderne Landwirtschaft und fragt sich, ob eine Unterstützung im Safiental noch notwendig sei angesichts anderer, ärmerer Gebiete. So hat sich die evangelische Frauenhilfe zurückgezogen. Umso wichtiger ist der Landfrauenverband, der auch karitative Aufgaben übernehmen könnte.

TB: Der optische Eindruck täuscht eben. Für die Durchleitung des Zerfreila-Wassers gibt es zwar eine gute Entschädigung. Aber die Gemeindefinanzen werden durch Infrastrukturaufgaben immer stärker belastet. Es ist aufwändig, wenn man die Post, den Arzt, den Einkaufsladen in der Talschaft erhalten und der elenden ‚Rückzugsbewegung‘ etwas entgegensetzen will. Ein gutes Beispiel für ein erfolgreiches Vorgehen der Gemeinde ist das neue Schulhaus in Tenna. Es brauchte ziemlich viel Kreativität, um die Bewilligungen zu erhalten für Bauten, die von den kantonalen Normen abweichen, aber dem Bedarf hier entsprechen. Die kleine Turnhalle, eher ein Fitnessraum, ist ein Beispiel dafür. Es macht Freude, dass uns das gelungen ist.

Die neue Gemeindebehörde sieht sich teilweise herausgefordert durch querdenkende Bürger. Diese können an Gemeindeversammlungen auch ein gut vorbereitetes Geschäft recht vermiesen. In den alten Gemeinden kannte man sie und konnte sie einordnen. In der Fusionsgemeinde muss man sich erst an sie gewöhnen. Allerdings muss man auch zuhören können, denn sie haben nicht immer unrecht.

 

Wie ist die Situation für Frauen?

TB: Leider ist die Integration in das politische Leben zu schwach. Wir möchten das ändern, aber wie? Es wäre richtig, Tagesstrukturen für Kinder zu schaffen, aber sie wären auch teuer. So dominieren immer noch starre Rollenbilder. Die Lebensqualität wird von den Frauen ganz unterschiedlich wahrgenommen. Eine ist glücklich im Stall, eine andere braucht eine Teilzeitstelle, eine dritte wünscht sich Tagesstrukturen … Überall bräuchte es Angebote.

EB: Ich interessiere mich für die Politik, war jedoch nie Mitglied einer Partei. Die Möglichkeit, Sachverhalte journalistisch und schriftstellerisch darzustellen, nutze ich. Mehrere Frauen unserer Bauern kommen aus anderen Gegenden und wollen im Betrieb arbeiten. Die gesellschaftliche Integration von neuen Leuten ist unter anderem ein Anliegen des Landfrauenverbands. Es gibt wichtigen Aufgaben in unserer Gemeinde, bei denen Frauen mitwirken können.

Die Friedhöfe bei unseren sechs Kirchen sind alle gepflegt. Das macht einen guten Eindruck und zeugt vom Sinn der Frauen für das ehrende Andenken an die Verstorbenen. Der Kirchenwanderweg durch die lang gezogene Gemeinde Safiental ist ein dokumentiertes touristisches Angebot.

 

Wie steht Ihr zur Tradition?

TB: Das ist ein Balanceakt. Die neue Gemeinde muss Offenheit ausstrahlen und Veränderungen in den Traditionen in Kauf nehmen. Die Alteingesessenen und neu Zugewanderten müssen sich wohl fühlen. Ein Verschmelzen von Tradition und Neuem wird angestrebt.

 

Wie steht es mit kulturellen Angeboten im Tal?

EB: Es gibt Kirchenkonzerte. Wichtig sind die Chöre. Es gibt eine Bibliothek in Safien als Treffpunkt. Mit einem Stallprojekt wollen wir alte Ställe erhalten. In Valendas entsteht neben dem Brunnen ein neues Gasthaus mit acht Zimmern, Feinschmecker-Lokal und Saal, entworfen von Gion Caminada. Aufgepasst: Man macht viel für den Gast, sollte daneben aber auch die Angebote für die Talbewohner und -bewohnerinnen nicht vergessen.

TB: Gerade Caminada hat mich gelehrt, dass das Entwicklungsziel Autonomie sein muss: kulturelle, landschaftliche, wirtschaftliche und menschliche Autonomie. Wir können jedoch nur kleine Projekte verfolgen, denn grössere brauchen sehr schnell ein Management, wofür uns die Ressourcen fehlen. Die Koordination zwischen diesen Kleinprojekten und vielen Initiativen ist eine Aufgabe des Gemeindepräsidenten. Ich erlebe sie als positive Belastung.

Unsere Standortentwicklungskommission hat die Aufgabe, gute Projekte zu erkennen und zu fördern. Es ist fünf vor zwölf. Es geht darum, zu verhindern, dass sich das Tal von hinten her leert. Ein brillantes Projekt ist der Solar-Skilift in Tenna, der als erster seiner Art weltweit Aufmerksamkeit erhalten hat. Zuerst war eine Idee da, dann die Frage, wie lässt sich das finanzieren? Heute sind alle begeistert.

 

Wie sehen die Fäden zu Vals aus?

EB: Sie sind eher punktuell. Es gab schon Anknüpfungspunkte etwa über die Weberinnen in Vals und im Safiental, darunter Margrit Walker. Dann gibt es das Bad in Vals. Und ich bin einmal durch den für Renovationsarbeiten trocken gelegten Druckstollen nach Zerfreila marschiert, insgesamt mehrere Kilometer. Mit Valsern, etwa mit Peter Rieder, hat man auch immer wieder in Bündner Organisationen, wie der Pro Raetia, Kontakt. Die Zucht der Herdenhunde von Willy Illien lernte ich durch eine Reportage kennen.

TB: Ja, die Beziehungen sind spärlich. Hie und da trifft man einen ausgewanderten Valser und erkennt ihn am Dialekt. Vals ist für uns ein ‚Schlaraffenland‘. Sie haben das Wasser, die Therme und auch den Wintertourismus. Die internen Zwiste sind für uns schwer fassbar. ‚Am Strand‘ von Peter Schmid wurde im Safien aufgeführt. Das Theaterstück ist nicht nur eine Valser Geschichte, die Wanderungsthematik ist ebenso aktuell für die Safientaler. Kooperation zwischen den beiden Gemeinden ist kein Thema. Vielleicht kommt es im Rahmen der Vertragsverhandlungen zwischen den Gemeinden und der KWZ zu gegenseitigen Abstimmungen.

 

Gäbe es Kooperationspotenzial im Kulturellen?

EB: Eine Zusammenarbeit ist vorstellbar zwischen den Bibliotheken. Dann vielleicht beim Musizieren, Lesungen, Filmvorführungen und Tonbildschauen. Dorfführungen für Interessierte werden angeboten und genutzt. Der organisierte Austausch muss bezahlbar sein. Grosse Publikumsströme darf man jedoch nicht erwarten.

Die Gemeinde Safiental ist eine Gegend der Landwirtschaft mit heute noch rund 60 Betrieben. Die alten Gersten- und Roggenkulturen sind in Vergessenheit geraten, könnten jedoch wieder an Bedeutung zunehmen. Die Besinnung auf die eigene Kultur und die Öffnung nach aussen lösen sich im Safiental zyklisch ab. Um 1900 gab es eine Öffnung, seit 1990 schliesst man sich eher wieder ab.

Uns würde es sehr interessieren, einmal bei euch in Vals einen Gegenbesuch zu machen.

TB: Dem schliesse ich mich an.

Frau Bardill und Herr Buchli, wir danken Ihnen für das Gespräch und Ihre Gastfreundschaft.

Ursula Berni, Jean-Pierre Wolf

Adressen:

elbatenna@bluewin.ch

thomas.buchli@safiental.ch

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